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Das OpusCulum
Horch mal, Mami, was da piept!
Dieser Artikel erschien in: Die St. Walburga-Orgel zu Elsheim, S. 89ff
Horch mal, Mami, was da piept, sagte der kleine Steppke, der mit seiner Mutter in der Elsheimer Walburgakirche in der ersten Reihe links vor der Chororgel stand. Die Organistin Mechthild Stenger hatte gerade zum Schlusslied "Großer Gott wir loben dich" als Symbol für das Einstimmen der ganzen Schöpfung in den allumfassenden Lobpreis Gottes das Register Avicinium (=Vogelgezwitscher, Vogelsang) eingeschaltet. Solche Spielereien gibt es heute in Kirchenorgeln nur noch selten. Wieso findet sich gerade in Elsheim ein solch ausgefallenes Instrument?
Als Ersatz für die ausgelagerte, defekte Engers-Schlaad-Orgel stand seit dem Wiedereinzug in die Kirche am Fronleichnamsfest 1995 an der Stufe des Chorraumes eine Chororgel als Übergangslösung. Diese kleine Orgel hat eine besondere Geschichte: Seit 1964 gibt es in der Internationalen Gesellschaft der Orgelfreunde e.V. (Gd0) einen Arbeitskreis Hausorgelbau, der bis Ende der 80er Jahre wenig effektiv dahindümpelte. Auf der Gd0-Tagung in Freiburg 1989 beschloss ein Freundeskreis um Hajo Stenger eine Konzeption und den Bau einer Muster-Hausorgel, die für die GdO-Tagung in Hildesheim 1991 fertiggestellt sein sollte[1]. Pläne und Arbeitshilfen sollten für alle Interessenten ggf. als Anleitung zum Nachbau zur Verfügung stehen. Unter Mithilfe seiner Freunde Werner Götz und Walter Wippel entstand in Stengers Stadecker Werkstatt in neunmonatiger Arbeit unter der Bezeichnung Opusculum (=kleines Werk) eine kleine Hausorgel. Alle Arbeitsschritte wurden auf einem Videofilm festgehalten. Dieser sowie die dazugehörigen Baupläne wurden von über 100 Orgelfreunden in aller Welt angefordert.
Im Dezember 1992 fanden unter dem Thema "Zimbelstern und Vogelschrey" die Tage alter Musik in Herne statt. Entsprechend der Thematik wurde Opusculum mit diesen Nebenregistern ausgestattet und mit einem Pedal ergänzt. Von den übrigen über 20 ausgestellten Kleinorgeln aus professionellen Werkstätten hatte keine diese frühbarocken Spielregister. Als Verwaltungsrat und Pfarrgemeinderat für Fronleichnam 1995 den Wiedereinzug in die restaurierte Kirche planten, war klar, dass die Organistin Mechthild Stenger ihre Hausorgel mit in die Kirche nahm. Das Instrument fand einen Platz vorn rechts neben der Sakristeitür auf einem fahrbaren Podest. Es wurde die Disposition leicht verändert und die Intonation den Raumverhältnissen angepasst.
Manual C-g³ |
schwarze Ebenholztastenbeläge, weiße Ahorn-Halbtontasten mit Rosenholzintarsien |
1.Gedackt |
8' |
(Holz) |
2. Aeoline |
8'* |
(Holz gedackt, ab c' Metall offen) |
3. Flauto |
4' |
(Holz offen) |
4. Götzquint |
3' |
Disk. (ab c' Holz konisch) |
5. Principal |
2' |
(Prospekt Metall) |
Pedal C-f' |
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Eichentasten mit Ebenholzauflage, Halbtontasten nach historischem Vorbild aus Ahorn |
6. Baßflaut |
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8', 5 1/3', 4' (Holz) |
(* Ursprünglich stand auf dem Pfeifenstock Aeoline 8' ein Cymbalum 1'+4 mit Holzpfeifen; die Änderung sollte die gottesdienstlichen Einsatzmöglichkeiten verbessern.) |
Nebenregister:
Tremulant
Cuculus (Kuckuck)
Avicinium (Vogelgezwitscher)
Stella (Zimbelstern)
Angelus (Engelsgeläut)
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Alle Teile, auch die Klaviaturen und Holzpfeifen wurden in der Stadecker Werkstatt gefertigt. Lediglich der Gebläsemotor wurde gekauft. Die Pfeifen des Principal 2' und die Metallpfeifen Aeoline 8' ab c' sind aus Abbruchorgeln und wuden für den neuen Einsatz repariert und aufbereitet.
Die eingebauten Einzelventilladen haben den Vorteil, daß voluminöse Pfeifen zur Platzersparnis mehrfach verwendet werden können. Baßflaut im Pedal besteht aus einer Pfeifenreihe mit 42 gedeckten Holzpfeifen. Die tiefen Pfeifen des Flauto 4' (C-gs°) entstammen dem Gedeckt. Aeoline 8' ist von A bis h° aus Holz gedeckt und repetiert von C-GS in die kleine Oktav. Der an sich schwierige Übergang von engen Streichern zu gedeckten Holzpfeifen bei h°/c' ist klanglich wohlgelungen.
Besonders bemerkenswert scheinen die Nebenregister, die als Ausdruck der Lebensfreude und der Integration von Schöpfung und Gottesdienst seit der Renaissancezeit in vielen Orgeln Eingang gefunden hatten, später jedoch (besonders im 19.Jahrhundert) als unfromme Spielereien, die meist nicht funktionierten, wieder entfernt wurden[2]:
Stella (Zimbelstern): Kleine Hämmerchen, die von einer elektrisch angetriebenen Nockenwelle betätigt werden, schlagen Schalenglocken aus Messing an. Gleichzeitig dreht sich außen sichtbar ein Stern.
Angelus (Engelsgeläut): Eine Anzahl winziger Glöckchen und Klangstäbe, die traubenförmig angeordnet sind, wird durch eine kleine Pleuelstange in Bewegung gesetzt.
Cuculus (Kuckuck): Klangerzeuger sind zwei kleine Holzpfeifen, die durch eigene Bälgchen angeblasen werden. Es handelt sich um das bei Kuckucksuhren angewandte Prinzip.
Avicinium (Vogelgezwitscher): Diese kleine Apparatur stammt ebenfalls aus dem Uhrenbau. Klangerzeuger ist ein Pfeifchen mit beweglichem Stöpsel, der durch Hin- und Herbewegung die Tonhöhenveränderungen bewirkt. Motorangetriebene Zahnräder mit unterschiedlichen Zahnfolgen übertragen die ungleichmäßigen Stöpsel- und Balgbewegungen.[3]
Diese Register regen Fantasie und Improvisationsgeschick der Organisten an, beleben den Gottesdienst und erheitern bisweilen die Gemeinde. Die besonders geschickte Konstruktion der Windversorgung sorgt bei Besuchern immer wieder für Erstaunen: Keinerlei Wind- oder Motorengeräusche nimmt der Zuhörer war. Das barock gestaltete zierliche Gehäuse passt sich sehr gut der Umgebung an und wirkt keineswegs als Fremdkörper im historischen Ambiente.
Die großen Flächen des Gehäuses sind nussbaumfarbig lasiert, die Profile sparsam vergoldet. Das reich geschnitzte Ranken und Schleierwerk aus Lindenholz ist farblos mattiert.
Besonders ins Auge fällt der vergoldete Zimbelstern mit rotem Strahlenkranz an der Spitze des mittleren Pfeifenturmes. Trotz ihrer bescheidenen Disposition kann sich die Chororgel auch bei gefüllter Kirche durchsetzen und den Gemeindegesang ausreichend begleiten.
Obwohl sich bedeutende Kirchenmusiker, so zum Beispiel der Mainzer Domorganist Albert Schönberger anlässlich eines Benefizkonzertes am 30. Juni 1996 dafür ausgesprochen haben, die Chororgel in der Kirche zu belassen, musste sie im Jahr 2000, als die Engers-Schlaad-Orgel wieder eingebaut wurde, dem Elsheimer Kirchenchor weichen. Für die Sängerinnen und Sänger bleibt zu wenig Platz auf der Empore. Deshalb müssen sie dann vorn links singen, wo die Chororgel stand.
Damit ist die Geschichte des kleinen Werkes noch nicht beendet: Es tritt zunächst die Reise nach Österreich in die Abtei der Missionsbenediktiner St. Georgenberg-Fiecht an. Dort ist nämlich der ehemalige Religionslehrer von Organistin Mechthild Stenger und in Rheinhessen weitbekannte ehemalige Prior Pater Anselm Zeller vom Ockenheimer Jakobsberg inzwischen Abt. Hier stand das kleine Werk im Chorraum der gerade restaurierten prächtigen Barockkirche und wurde zum
gottesdienstlichen Einsatz regelmäßig gespielt. Allerdings war die Kirche zu feucht, sodass Stockflecken an verschiedenen Holzteilen auftraten. Daher haben Werner Götz und Hajo Stenger das Örgelchen am 15. September 2008 in einen Pferdeanhänger gepackt und wieder nach Rheinhessen transportiert.
Hier steht es nun in der zur Pfarrei Schwabenheim gehörenden barocken Pfarrkirche St. Johannes Evangelist in Groß-Winternheim als Chororgel und „vertrat“ zunächst die dortige Kohlhaas-Orgel von 1769, die sich in einem maroden, kaum mehr bespielbaren Zustand befand. Nach der Wiedereinweihung dieses historischen Instrumentes im September 2012 wird OpusCulum im Chorraum verbleiben und bei Werktags- und Gruppengottesdiensten spielen. Die Kohlhaas-Orgel ist
entsprechend der historischen Praxis im Cornettton gestimmt, während die Chororgel der heutige Gepflogenheit entspricht: a’ = 440 Hz. So ist sie für Instrumenten- und Sologesangsbegleitung in besonderer Weise geeignet.
1 vgl hierzu in: Mitteilungen aus dem Arbeitskreis Hausorgel-Selbstbau, Heft 1, Dezember 1991, Seite 3
2 Einige bedeutende Barockorgeln konnten den Puritanismus des 19. Jahrhunderts überstehen, und die alten Barockregister wurden bis heute erhalten, z.B. Weingarten.
3 Grudino, Helmut: Ak Hausorgel in Herne mit dabei, in: Mitteilungen aus dem Arbeitskreis Hausorgel, Heft 3, Januar 1993, S. 31
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